Wehrdienst in Tunesien

Sonstige Themen mit Bezug zu Tunesien, die in keinen anderen Forumsbereich passen.
Antworten
Sanddorn

Wehrdienst in Tunesien

Ungelesener Beitrag von Sanddorn »

Hallo! Ich hoffe, dass mir jemand, der vielleicht selber betroffen ist, helfen kann.

Der Vater meines Sohnes ist gebürtiger Tunesier. Wir waren als der Kleine ein Jahr alt war mit ihm mal in Tunesien und mein Ex-Mann musste damals einen tunesischen Pass für ihn beantragen, sonst hätten wir wohl Probleme bei der Ausreise gekriegt. Dh unser Sohn ist auf jeden Fall bei den Behörden registriert. Kurz darauf haben wir uns getrennt, sind mittlerweile lange geschieden und der Vater hat keinen Kontakt mehr zu uns.

Mein Sohn ist jetzt 14. Ich mache mir seit längerem Gedanken wie das mit der Wehrpflicht in Tunesien aussieht. So wie ich es verstanden habe, muss mein Sohn diese eigentlich leisten. Er spricht aber kein Wort arabisch, war abgesehen von dem einen mal als Kleinkind nie dort.
Das ist ja kein Jahr als Austauschschüler. Ich denke mal die nehmen dort nicht viel Rücksicht auf jemanden aus dem Ausland, oder? Ich habe irgendwo gelesen, dass man sich nach einem Monat freikaufen kann, aber selbst einen Monat finde ich unter den Umständen schon heftig. Gibt es eine Möglichkeit dass er davon befreit wird? Die Staatsbürgerschaft kann er ja nicht ablegen, oder?
Hat jemand da eigene Erfahrungen gemacht mit seinen binationalen Kinder bzw ist/war selbst in der Situation? Wird man von der Botschaft angeschrieben? Wie sieht es aus wenn man zwischen 20 und 28 einfach das Land nicht betritt? Läuft man dann später (mit 35 zB) Gefahr verhaftet zu werden, weil man sich gedrückt hat? Ich fände es schade, wenn er nie nach Tunesien reisen könnte.

Ich freue mich auf Eure Antworten
Viele Grüße
Benutzeravatar
Rolf
SysOp
SysOp
Beiträge: 1028
Registriert: 2020-06-05, 03:26

Re: Wehrdienst in Tunesien

Ungelesener Beitrag von Rolf »

Die legale Seite ist diese:

1) Jeder männliche Tunesier muß zum Wehrdienst (1 Jahr Wehrdienst in Tunesien). Mit 18 Jahren muß er sich durch ein Schreiben bei der für seinen Wohnort (in Tunesien) zuständigen Behörde melden, mit 20 wird er gemustert und, wenn wehrfähig, dann einberufen. Lebt jemand nicht in Tunesien, so muß er die Meldung beim Konsulat des Wohnlandes vornehmen.
Der Grundwehrdienst dauert 3-6 Monate, die restliche Zeit wird in einer Stammeinheit verbracht, wobei die Ausbildung und Fähigkeiten des Wehrpflichtigen berücksichtigt werden sollen (ein Arzt zum medizinischen Dienst, ein Mechaniker zum Transportdienst, etc.).

2) Es gibt diverse Ausnahmen, was die Ableistung betrifft:

- Der Wehrpflichtige ist (außer Tunesier) Staatsbürger der Türkei oder von Algerien oder Frankreich. In diesen Fällen gilt der dort abgeleistete Wehrdienst als Erfüllung der Wehrpflicht auch in Tunesien.
- Der Wehrpflichtige ist unterhaltspflichtig für einen nachstehende Familienangehörigen UND seine Einberufung würde den Lebensunterhalt dieser Personen unmöglich machen: a) Ehefrau mit der er mehr als 2 Jahre verheiratet ist, b) eines oder mehrere eheliche Kinder, c) behinderte Bruder oder Schwester, d) Vater über 65 Jahre oder mehr als 60% erwerbsunfähig
- Der Wehrpflichtige ist älter als 35 Jahre
- Der Wehrpflichtige ist älter als 28 Jahre UND arbeitet UND lebt im Ausland (also nicht in Tunesien)

3) Dann gibt es noch die Möglichkeit, die Einberufung zum Wehrdienst zu verschieben, und zwar jeweils für ein Jahr, wenn ...

... ein Bruder bereits Dienst im Militär leistet
... er unterhaltspflichtig ist für einen nachstehenden Familienangehörigen UND seine Einberufung würde den Lebensunterhalt dieser Personen unmöglich machen: a) Vater aus Gesundheitsgründen zeitweise arbeitsunfähig, b) verwitwete oder geschiedene Mutter, c) unverheiratete Schwester, d) Bruder unter 20 in Schule oder Studium
... er sich in der Ausbildung in Tunesien oder einem anderen Land befindet

In Deinem konkreten Fall trifft wahrscheinlich keine dieser Ausnahmen zu, was hieße, daß sich Dein Sohn (und, übrigens, später auch sein Sohn, denn sein Sohn wird ja von ihm auch wieder automatisch die tunesische Staatsangehörigkeit erhalten...) tunlichst zwischen dem 20. und dem 28. bzw. 35. Lebensjahr aus Tunesien fernhalten sollte.
Wie Du schon richtig vermutest ist es in der Praxis unmöglich, die tunesische Staatsbürgerschaft abzulegen und der tunesische Staat scheint selbst in den eigentlich im Gesetz festgelegten Fällen (Wehrdienst für anderen Staat, Arbeit in einer Behörde eines anderen Staates, Verächtlichungmachung des tunesischen Staates, etc.) keinen Entzug vorzunehmen.

Ich gehe zwar davon aus, daß irgendwann auch ein Tunesier seine Staatsbürgerschaft loswerden kann, wenn er oder der Staat es will, doch ob das in einem Jahr, in zehn oder in 50 sein wird, das weiß man nicht - mittelfristig jedenfalls ist mir keine entsprechende Initiative bekannt, die das fordert (der tunesische Staat und die allermeisten Tunesier sind der Auffassung, daß es gut, gar am besten, ist, Tunesier zu sein ... es ist nur nicht gut, dort zu arbeiten).

Es bleibt somit bei dem Rat, den ich oben gegeben habe: Fernbleiben aus Tunesien zwischen dem 20. und 28. bzw. 35. Lebensjahr ... oder das Risiko eingehen, dort bei einem Urlaub geschnappt und zum Militär verbracht zu werden (wobei ich mir eine etwaige Ausbildung abenteuerlich vorstelle, wenn die Person nicht ein Wort tunesisch oder französisch spricht - wer weiß, ob die einen dann nicht nach ein paar Tagen gleich wieder nach Hause schicken...).

Zwar gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, sich gegen Zahlung vom Militärdienst freistellen zu lassen, doch dazu sollte man sich vor Ort beraten lassen, da die gewisse Voraussetzungen und Grade beinhaltet (zum Beruf ((der in Tunesien ausgeübt wird!?)), zu den trotzdem zu leistenden Grundausbildungs-Zeiten, zur Höhe des zu zahlenden Geldes) - rein persönlich halte ich allerdings nicht viel davon, ein solches "Lösegeld" an den tunesischen Staat "für nichts" zu zahlen, wenn es nicht unbedingt erforderlich wäre, sondern würde dann, wenn ich im Ausland wohnte, diesem Ziel eher konsequent fernbleiben.
Antworten