Spiegel Online berichtet:
https://www.spiegel.de/ausland/tunesien ... 8fba5616f6
Staatsstreich in Tunesien
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Wie die tunesische Presse meldet, soll der deutsche Außenminister die Situation in Tunesien nichts als Staatsstreich, sondern als verfassungsgemäße Handlung bewertet haben. Falls diese Pressemeldung zutrifft, dann sollte der Außenminister vielleicht noch einmal die betreffende Passage der Verfassung lesen ... hier im Forum sogar in deutsch zu finden.
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Die mächtige Gewerkschaft UGTT hat nun reagiert. Ihr Sprecher sagte, daß die Handlungen des Staatspräsidenten größtenteils, doch nicht vollständig, von der Verfassung gedeckt werden. Er betonte jedoch, daß die 30tägige Anwendung des Verfassungsparagrafen nicht in eine dauernde Anwendung münden dürfe.
Ähnliche Kommentare sind in der tunesischen Presse mehrfach zu lesen.
Ähnliche Kommentare sind in der tunesischen Presse mehrfach zu lesen.
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Der Verteidigungsminister und der Justiz- und Zivilschutzminister wurden entlassen.
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Telephone und andere Geräte von einigen tunesischen Journalisten, die am Parlament über die Situation berichten, wurden von der Polizei beschlagnahmt und ihnen wurde der weitere Aufenthalt untersagt. Dasselbe soll einigen Berichten zufolge auch ausländischen Jouralisten widerfahren sein.
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Neben der nächtlichen Ausgangsperre gilt in Tunesien bis zum 27.08.2021 zudem, daß alle öffentlichen Zusammentreffen von mehr als 3 Personen untersagt sind.
In einer heute veröffentlichten Erklärung sagte der entlassene Regierungschef Hichem Mechichi, er könne nicht ein lähmender Faktor sein, der die Situation in Tunesien komplizieren würde. Er betonte, dass er immer auf der Seite des tunesischen Volkes stehe und fügte hinzu, dass er von nun an keine Position oder Verantwortung innerhalb des Staates bekleiden werde. Er überlasse seine Funktion der Person, die vom Staatsoberhaupt im Rahmen der Machtübergabe ernannt werde.
In einer heute veröffentlichten Erklärung sagte der entlassene Regierungschef Hichem Mechichi, er könne nicht ein lähmender Faktor sein, der die Situation in Tunesien komplizieren würde. Er betonte, dass er immer auf der Seite des tunesischen Volkes stehe und fügte hinzu, dass er von nun an keine Position oder Verantwortung innerhalb des Staates bekleiden werde. Er überlasse seine Funktion der Person, die vom Staatsoberhaupt im Rahmen der Machtübergabe ernannt werde.
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Die folgenden Maßnahmen wurden vom Präsidenten beschlossen:
- Die Ausgangssperre gilt ab sofort zwischen 22:00 Uhr - 05:00 Uhr.
- Ab 19:00 dürfen in Rastaurants keine Stühle mehr benutzt werden.
- Einreisende nach Tunesien müssen einen PCR-Test vor der Abreise nachweisen und nach der Ankunft eine 7tägige Selbst-Isolation durchführen
- Die Ausgangssperre gilt ab sofort zwischen 22:00 Uhr - 05:00 Uhr.
- Ab 19:00 dürfen in Rastaurants keine Stühle mehr benutzt werden.
- Einreisende nach Tunesien müssen einen PCR-Test vor der Abreise nachweisen und nach der Ankunft eine 7tägige Selbst-Isolation durchführen
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Der Präsident hat, ohne weitere Erläuterungen, nach dem Ablauf der von ihm genannten 30 Tage nach dem Putsch, die von ihm getroffenen Regelungen und Maßnahmen auf unbestimmte Zeit verlängert.
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Mehr als ein Monat ist nun seit dem Putsch vergangen - und nicht nur die Leser des Forums fragen sich, was da wohl nun im Lande vorgeht. Die Antwort, kurz gefaßt, ist: Nichts - zumindest nichts erwähnenswertes.
Der Präsident hat alle Macht im Staate in seinen Händen, doch nach den Maßnahmen der ersten zwei Tage und den vielfältigen Ankündigungen, was nun alles anders und besser wird, ist Ruhe eingekehrt. Hier und dort werden Personen im Verwaltungsapparat ersetzt, dort und anderswo tritt der Präsident persönlich in Erscheinung, um sich etwas anzusehen, und das ist alles.
Weder wurde bisher ein neuer Regierungsschef eingesetzt, noch wurden wesentliche Gesetzesänderungen vorgenommen. Weder wurden die von ihm identifizierten "korrupten Politiker" angeklagt, noch Gelder, die von Geschäftsleuten "durch Korruption dem Volk entzogen" wurden, eingetrieben. Und auch von der "direkten Demokratie", die in Tunesien eingeführt werden soll, hat man bis heute auch nur Andeutungen vernommen.
Unter dem Strich bleibt also, daß der Präsident wie ein Diktator regiert (und ja, es gab in der Geschichte auch "gute" Diktatoren), daß das Parlament ausgesetzt ist (wie sagte der Präsident: "Parteiarbeit und Demokratie schaden dem Land") und daß die politischen Parteien und sogar die Gewerkschaften sich leise und unauffällig verhalten und abwarten, was da noch kommen mag ... und vor allem: WANN es kommen mag.
Das scheint aber nicht einmal der Präsident zu wissen, denn er hat sich bislang in erster Linie auf Symbolpolitik und Ankündigungen kapriziert.
- So kündigte er an, daß Milliarden Dinare von korrupten Geschäftsleuten eingetrieben werden können - und bezog sich dabei auf ein Projekt aus dem Jahre 2011, in dem untersucht wurde, wieviel Geld die BenAli-Funktionäre in die eigenen Taschen geleitet haben sollen. Nicht nur sind diese Zahlen fraglich, es ist auch überhaupt ungewiß, wieviel von diesem Geld überhaupt noch vorhanden oder auffindbar ist.
Immerhin hatte der Präsident einen Plan: Er verbot Geschäftsleuten, das Land zu verlassen, bis diese freiwillig die Geldbeträge zurückgezahlt hätten - was meines Wissens bislang aber niemand getan hat.
- Außerdem hat er alle Geschäftsleute Tunesiens angesprochen und darauf hingewiesen, daß sie offenbar gute Profite machen und die Bevölkerung arm sei. Lösung: Die Geschäftsleute sollen ihre Preise senken. Tatsächlich haben einige Firmen darauf hin ihre Preise um bis zu 10% reduziert (bei einer Inflation von 6%), manche nur für ein Wochenende, viele für einen bestimmten Zeitraum oder für bestimmte Waren oder Dienstleistungen, und andere auch gar nicht, wie die Banken, die ihre Kontogebühren trotz Appell nicht verändert haben (just heute verkündeten sie jedoch, daß sie 50 Millionen Dinar für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen wollen...).
Eine Symbolpolitik, die zwar auf das Wohlwollen der Einwohner trifft, doch irgendwie kein zukunftsweisendes Konzept erkennen läßt.
- Die direkte Demokratie, in der die Einwohner selbst unmittelbar mitentscheiden sollen, hört sich, bis hierhin, auch sehr positiv an, und trifft natürlich auf den Beifall der Einwohner - für die voraussichtliche Umsetzung werden die Wörter dann allerdings leiser und unverständlicher. Da ist dann von "Räten auf regionaler Ebene" und dergleichen zu hören, als ob es nicht ein revolutionäres Vorzeigeprojekt werden soll, sondern wahllos aus der Mottenkiste des Marxismus herausgezogen wurde.
So gibt es noch allerlei Beispiele, aus denen ich (andere Kommentatoren mögen da vielleicht besser erleuchtet sein) nur herauslese, daß der Präsident gerne einen Staat errichten würde, den er (für sich?) als ideal erachtet, doch, sobald es an die praktische Umsetzung geht, vor vielerlei überraschend auftretenden Problemen steht und sich dann einem anderen Thema zuwendet.
Ob Versprechungen und Absichten jedoch ausreichen, um ein Land, das dicht am Staatsbankrott steht und in dem soziale Verwerfungen zunehmen, erfolgreich in die Zukunft zu führen, das wird man abwarten müssen, es sind aber zumindest berechtigte Zweifel daran angebracht. Vielleicht aber, wer weiß das schon, wird hinter den Kulissen ja auch nur an einem bahnbrechenden und deshalb viel Zeit in Anspruch nehmenden Komplett-Paket gearbeitet, das alle Probleme lösen wird? Hoffen wir es!
Der Präsident hat alle Macht im Staate in seinen Händen, doch nach den Maßnahmen der ersten zwei Tage und den vielfältigen Ankündigungen, was nun alles anders und besser wird, ist Ruhe eingekehrt. Hier und dort werden Personen im Verwaltungsapparat ersetzt, dort und anderswo tritt der Präsident persönlich in Erscheinung, um sich etwas anzusehen, und das ist alles.
Weder wurde bisher ein neuer Regierungsschef eingesetzt, noch wurden wesentliche Gesetzesänderungen vorgenommen. Weder wurden die von ihm identifizierten "korrupten Politiker" angeklagt, noch Gelder, die von Geschäftsleuten "durch Korruption dem Volk entzogen" wurden, eingetrieben. Und auch von der "direkten Demokratie", die in Tunesien eingeführt werden soll, hat man bis heute auch nur Andeutungen vernommen.
Unter dem Strich bleibt also, daß der Präsident wie ein Diktator regiert (und ja, es gab in der Geschichte auch "gute" Diktatoren), daß das Parlament ausgesetzt ist (wie sagte der Präsident: "Parteiarbeit und Demokratie schaden dem Land") und daß die politischen Parteien und sogar die Gewerkschaften sich leise und unauffällig verhalten und abwarten, was da noch kommen mag ... und vor allem: WANN es kommen mag.
Das scheint aber nicht einmal der Präsident zu wissen, denn er hat sich bislang in erster Linie auf Symbolpolitik und Ankündigungen kapriziert.
- So kündigte er an, daß Milliarden Dinare von korrupten Geschäftsleuten eingetrieben werden können - und bezog sich dabei auf ein Projekt aus dem Jahre 2011, in dem untersucht wurde, wieviel Geld die BenAli-Funktionäre in die eigenen Taschen geleitet haben sollen. Nicht nur sind diese Zahlen fraglich, es ist auch überhaupt ungewiß, wieviel von diesem Geld überhaupt noch vorhanden oder auffindbar ist.
Immerhin hatte der Präsident einen Plan: Er verbot Geschäftsleuten, das Land zu verlassen, bis diese freiwillig die Geldbeträge zurückgezahlt hätten - was meines Wissens bislang aber niemand getan hat.
- Außerdem hat er alle Geschäftsleute Tunesiens angesprochen und darauf hingewiesen, daß sie offenbar gute Profite machen und die Bevölkerung arm sei. Lösung: Die Geschäftsleute sollen ihre Preise senken. Tatsächlich haben einige Firmen darauf hin ihre Preise um bis zu 10% reduziert (bei einer Inflation von 6%), manche nur für ein Wochenende, viele für einen bestimmten Zeitraum oder für bestimmte Waren oder Dienstleistungen, und andere auch gar nicht, wie die Banken, die ihre Kontogebühren trotz Appell nicht verändert haben (just heute verkündeten sie jedoch, daß sie 50 Millionen Dinar für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen wollen...).
Eine Symbolpolitik, die zwar auf das Wohlwollen der Einwohner trifft, doch irgendwie kein zukunftsweisendes Konzept erkennen läßt.
- Die direkte Demokratie, in der die Einwohner selbst unmittelbar mitentscheiden sollen, hört sich, bis hierhin, auch sehr positiv an, und trifft natürlich auf den Beifall der Einwohner - für die voraussichtliche Umsetzung werden die Wörter dann allerdings leiser und unverständlicher. Da ist dann von "Räten auf regionaler Ebene" und dergleichen zu hören, als ob es nicht ein revolutionäres Vorzeigeprojekt werden soll, sondern wahllos aus der Mottenkiste des Marxismus herausgezogen wurde.
So gibt es noch allerlei Beispiele, aus denen ich (andere Kommentatoren mögen da vielleicht besser erleuchtet sein) nur herauslese, daß der Präsident gerne einen Staat errichten würde, den er (für sich?) als ideal erachtet, doch, sobald es an die praktische Umsetzung geht, vor vielerlei überraschend auftretenden Problemen steht und sich dann einem anderen Thema zuwendet.
Ob Versprechungen und Absichten jedoch ausreichen, um ein Land, das dicht am Staatsbankrott steht und in dem soziale Verwerfungen zunehmen, erfolgreich in die Zukunft zu führen, das wird man abwarten müssen, es sind aber zumindest berechtigte Zweifel daran angebracht. Vielleicht aber, wer weiß das schon, wird hinter den Kulissen ja auch nur an einem bahnbrechenden und deshalb viel Zeit in Anspruch nehmenden Komplett-Paket gearbeitet, das alle Probleme lösen wird? Hoffen wir es!
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Re: Staatsstreich in Tunesien
Weitere drei Wochen sind vergangen - ohne daß sich etwas geändert hätte.
Es gibt zwar Spekulationen, daß der Staatspräsident bald einen Regierungschef und Minister ernennen will, doch nichts Genaues weiß man nicht.
Den Spekulationen zufolge soll dann auch gleich eine neue Verfassung in Kraft gesetzt werden - über die dann die Bürger in einem Referendum abstimmen könnten, um der Verfassung eine demokratische Geltung zu verschaffen (der Präsident betont nach wie vor stets, daß er sich mit seinem Handeln auf dem Boden der Verfassung bewegt und er ja überhaupt ein erfahrener Verfassungsrechtler sei ... was aber eigentlich sowieso keine Rolle spielt, weil im Moment der Präsident -entgegen der Verfassung- die alleinige Staatsgewalt ist).
Die neue Verfassung könnte u.a. die Umwandlung des Systems in einen Präsidialstaat enthalten, so wie es auch zu Zeiten Bourguibas und BenAlis gewesen war.
In jedem Fall wächst der Druck aus dem Ausland auf den Staatspräsidenten, zu "demokratischen Verhältnissen" zurückzukehren: Dies fordert nicht nur die EU, sondern auch die USA, in der es zudem Überlegungen gibt, bis da hin Tunesien keine weiteren Gelder mehr zur Verfügung zu stellen.
Tunesien benötigt für den Rest des Jahres noch um die 8 Milliarden Dinar, um Verbindlichkeiten, namentlich Staatsschulden, auszugleichen. Doch auf der Einnahmensseite sieht es unverändert düster aus, zuletzt waren sogar die Banken Tunesiens sehr zurückhaltend dabei, noch staatliche Papiere zu erwerben und dem Staat damit zu zusätzlichen Geldmitteln zu verhelfen.
Da es keine regelrechte Regierung und kein Parlament gibt, gibt es auch keine Vorlagen für einen Finanzplan für das kommende Jahr und keine Diskussionen über den laufenden Etat, der, wie sich herausgestellt hat, auf unrealistischen Schätzungen (u.a. zum Wirtschaftswachstum oder dem Ölpreis) basierte.
Es gibt zwar Spekulationen, daß der Staatspräsident bald einen Regierungschef und Minister ernennen will, doch nichts Genaues weiß man nicht.
Den Spekulationen zufolge soll dann auch gleich eine neue Verfassung in Kraft gesetzt werden - über die dann die Bürger in einem Referendum abstimmen könnten, um der Verfassung eine demokratische Geltung zu verschaffen (der Präsident betont nach wie vor stets, daß er sich mit seinem Handeln auf dem Boden der Verfassung bewegt und er ja überhaupt ein erfahrener Verfassungsrechtler sei ... was aber eigentlich sowieso keine Rolle spielt, weil im Moment der Präsident -entgegen der Verfassung- die alleinige Staatsgewalt ist).
Die neue Verfassung könnte u.a. die Umwandlung des Systems in einen Präsidialstaat enthalten, so wie es auch zu Zeiten Bourguibas und BenAlis gewesen war.
In jedem Fall wächst der Druck aus dem Ausland auf den Staatspräsidenten, zu "demokratischen Verhältnissen" zurückzukehren: Dies fordert nicht nur die EU, sondern auch die USA, in der es zudem Überlegungen gibt, bis da hin Tunesien keine weiteren Gelder mehr zur Verfügung zu stellen.
Tunesien benötigt für den Rest des Jahres noch um die 8 Milliarden Dinar, um Verbindlichkeiten, namentlich Staatsschulden, auszugleichen. Doch auf der Einnahmensseite sieht es unverändert düster aus, zuletzt waren sogar die Banken Tunesiens sehr zurückhaltend dabei, noch staatliche Papiere zu erwerben und dem Staat damit zu zusätzlichen Geldmitteln zu verhelfen.
Da es keine regelrechte Regierung und kein Parlament gibt, gibt es auch keine Vorlagen für einen Finanzplan für das kommende Jahr und keine Diskussionen über den laufenden Etat, der, wie sich herausgestellt hat, auf unrealistischen Schätzungen (u.a. zum Wirtschaftswachstum oder dem Ölpreis) basierte.